Zwischenspiele

Zwischenspiele

Zeitgleich eröffnen drei Zwischenspiele im Bauhaus Museum Dessau. Zwischenspiele sind Ausstellungen in der Ausstellung: In drei Zonen innerhalb der Dauerausstellung zur Geschichte des Bauhauses intervenieren wechselnde aktuelle und historische Positionen aus Kunst und Design und schaffen neue Zugänge sowie Beziehungen zum Erbe der Moderne. Die Zwischenspiele 2025 fokussieren unter anderem Naturdarstellungen in unserer post-digitalen Zeit und das Materialwissen, das in Keramik und gebrannten Objekten steckt.

18 Uhr
Begrüßung
Barbara Steiner, Direktorin und Vorstand, Stiftung Bauhaus Dessau

Intro
Oliver Klimpel, Leiter Kuratorische Werkstatt, Stiftung Bauhaus Dessau

Künstler*innengespräch
Leoni Fischer, Volontärin, Stiftung Bauhaus Dessau mit Anna Gille und Matthias Kaiser

Anna Gille
21. 3. 19. 10. 2025

Anna Gille zeigt in den Zwischenspielen Kohlezeichnungen von Vegetation in analogen und digitalen Landschaften. Sie inszeniert diese in einer Objektinstallation, die an die Präsentation von Geräten in beispielsweise Apple Stores erinnert. Gille zeichnet Natur, welche ihr bisweilen auch als digitale Abbilder in Videospielen oder im Endlos-Feed ihrer Foto-App begegnet. Zugleich setzt sie sich grundlegend mit der Zeichnung als traditionellem künstlerischem Medium auseinander. Formfüllend auf der Wand der Raumbühne im Erdgeschoss erschafft Gille eigens eine neue, imposante Zeichnung, die die gängigen Dimensionen des Zeichnens herausfordert und den Museumsraum selbst landschaftlich erlebbar
werden lässt.

Anne Schneider: Seit vielen Jahren pflegst du ein persönliches Fotoarchiv von Landschaftsfragmenten und Situationen in der Natur. Wie kam es dazu und wie wählst du deine Motive?

Anna Gille: Gezielt sammle ich diese Landschaften und Naturorte seit 2011. Es sind zum einen Orte, die ich aufsuche, weil sie mich inhaltlich interessieren, und zum anderen Motive, die mir zufällig begegnen. Besonders reizen mich die Landschaftssituationen, in denen Gestaltung und Wildwuchs aufeinandertreffen, und bei denen die menschliche Hand mal mehr, mal weniger sichtbar ist.

Im Großen und Ganzen ist die Motivation, eine bestimmte landschaftliche Szene aufzunehmen / mitzunehmen, eine unmittelbare und intuitive. Ich nutze die Welt, die mich umgibt, als Material. Das Fotografieren der Motive ist für mich vor allem ein Sammeln von Strukturen, von Kontrasten, von Licht und Schatten, von grafischen Elementen, Konstellationen und Kompositionen, die als Ausgangspunkte für meine Zeichnungen dienen.

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AS: Wie arbeitest du für deine Zeichnungen mit dieser Sammlung weiter?

AG: Oft geht es am Ende in den teilweise sehr abstrakten Arbeiten gar nicht mehr um den konkreten Ort selbst, sondern ich nutze dessen strukturelle Eigenschaften, um etwas Neues entstehen zu lassen. Die Natur liefert mir sozusagen die grafischen Erfindungen und Ideen, auf die ich in dieser Fülle nie kommen würde.

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AS: Wie du sagst, sind viele deiner Arbeiten im Ergebnis sehr abstrakt, auch wenn sie von einer konkreten Situation ausgehen. Oft lassen sich erst bei längerer Betrachtung räumliche Bezüge erkennen, und es bleibt vage, ob diese von der Vorstellungskraft der Betrachtenden selbst konstruiert oder wirklich im Bild angelegt sind. Wie weit kann man sich vom Bild einer Landschaft entfernen, ohne dass sie aufhört, Landschaft zu sein?

AG: Mich interessieren die eher unspektakulären und unspezifischen Orte und Szenerien, die einen großen Formenreichtum oder eine besondere Farbigkeit besitzen. Oft sind die Motive horizontlos und häufig im Hochformat angelegt. Dadurch entsteht bereits eine gewisse Entfernung vom klassischen Landschaftsbild, das eher durch räumliche Tiefe und eine sichtbare Horizontlinie geprägt ist, hin zu Abstraktion und Fläche. Dennoch gibt es in allen meinen Arbeiten einen Naturbezug – mal mehr, mal weniger sichtbar.

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Leoni Fischer: In einem unserer Gespräche hast du gesagt, dass es dir manchmal so vorkommt, als würdest du Landschaften von hier nach dort schleppen. Was meinst du damit?

AG: Oft landen die Aufnahmen eines bestimmten Ortes für Wochen, Monate oder sogar Jahre in meinem Archiv. Um den strukturellen Kern eines Motivs erfassen zu können, brauche ich oft sowohl den räumlichen als auch den zeitlichen Abstand dazu. So verwandelt sich die unmittelbare Naturerfahrung in eine Art Landschaftsgedächtnis.

Ich glaube, mein Blick ist immer auch an meinen persönlichen Landschaftserfahrungen ausgerichtet, die teils ganz unterbewusst vorhanden sind. So ist die Landschaft meiner Kindheit zu einer inneren Landschaft geworden, die ich sicher unbewusst immer wieder zu reproduzieren versuche.

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LF: Du hast im Vorlauf der Ausstellung vier Wochen in Dessau verbracht und hier an deinen Arbeiten für die Ausstellung auf der Raumbühne des Bauhaus Museums Dessau gearbeitet. Welche Eindrücke hast du gewonnen? Gibt es Orte hier, die Teil deines Landschaftsgedächtnisses geworden sind?

AG: Auf jeden Fall. Auch hier sind mir vor allem die unspektakulären Situationen im Gedächtnis geblieben. Zum Beispiel die jetzt im Winter sehr grafisch wirkende Birkenallee, die den Parkplatz hinter dem Bauhaus Gebäude begrenzt, oder auch eine kleine private Fußwegbepflanzung in der Gropiusallee. Und dann natürlich die Kiefern rund um die Meisterhäuser!

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LF: Welche Bedeutung haben für dich Papier und Kohle im Zusammenhang mit deiner Kunst?

AG: Für mich sind es die idealen Materialien, nicht nur, weil sie – hergestellt aus Pflanzen – direkt in Beziehung zu meinen Motiven stehen, sondern auch, weil sie so elementar sind. Verkohlte Äste und Zweige, Papier und Baumwolle dienen von alters her als Zeichenmaterialien und Bildträger. Sie stehen daher für mich in gewisser Weise für das Zeichnen selbst.

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LF: Der Soziologe Lucius Burckhardt, der viel über Landschaft, Natur und ihre Darstellung nachgedacht hat, behauptet: Es ist unmöglich, hässliche Landschaften zu zeichnen. Stimmt das?

AG: Als ich begonnen habe, Landschaften aus Computerspielen als Ausgangspunkte für meine Arbeiten zu nutzen, bin ich oft mit der Frage konfrontiert worden: Wieso zeichnest du seltsam verpixelte Landschaften aus Ego-Shootern? Aber für mich stellte sich die Frage gar nicht, denn am Ende ist alles Anregung und Material – ob nun gemeinhin als schön oder hässlich, angenehm oder unangenehm konnotiert. Und die Frage könnte ja auch sein: Warum sehen wir unsere Umgebung überhaupt als Landschaft? Und warum empfinden wir diese gemeinhin als schön?

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LF: Auf der zehn Meter langen Wand auf der Raumbühne des Bauhaus Museums Dessau hast du eine wandfüllende Darstellung geschaffen, auf der unzählige Einzelbilder zueinander in Beziehung gesetzt sind. Wie fügt sich die Komposition zusammen, und welche Bezüge entstehen aus diesen Nachbarschaften?

AG: Die Komposition besteht aus etwas mehr als 200 einzelnen Motiven, die chronologisch von links oben bis rechts unten angeordnet sind. Die ersten stammen aus der Anfangszeit meiner Sammlung, die letzten sind ganz aktuell und zeigen das Georgium hier in Dessau. Ich habe Motive ausgewählt, die eine in sich geschlossene Form bilden, also erkennbar aus ganz bestimmten Naturelementen zusammengesetzt sind. Es ging mir um kulissenartige Szenen und pflanzliche Protagonisten, die nun die Besetzung der Raumbühne bilden.

Durch die Art und Weise, wie diese zueinanderstehen, entstehen Weißräume und Leerstellen, die dazu einladen, zwischen ihnen hindurchzuspazieren. In der Zusammenstellung tritt nun zusammen auf, was zeitlich und räumlich eigentlich weit entfernt voneinander existiert.

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LF: Beim Betrachten deiner Zeichnungen macht es einen Unterschied, ob man sich nah an ein einzelnes Blatt heranbewegt beziehungsweise um eine Serie herumgeht, wie im Zwischenspiel, oder von Weitem auf das große Wandbild auf der Raumbühne zugeht. Inwiefern legst du diese Körper-Werk-Beziehungen in deiner Arbeit gezielt oder intuitiv an?

AG: In der Regel bevorzuge ich das kleine Format. Ich mag die Intimität, die entsteht, wenn man sich einer Arbeit nähern muss und man nicht durch deren schiere Größe überwältigt ist, sondern sie Kraft aus sich selbst heraus entwickelt. Außerdem ist mir beim Zeichnen wichtig, dass Strichstärke und Format in einem guten Verhältnis stehen. Daher war mir schnell klar, dass die Arbeit auf der Raumbühne eine Komposition aus vielen kleineren Elementen werden musste, die dann ein Ganzes – eine Art Überlandschaft – bilden. Aus der Ferne betrachtet liegt das Augenmerk dann vor allem auf der Konstellation der Einzelteile zueinander und auf deren Vielfalt im Ähnlichen.

Matthias Kaiser
21. 3. 19. 10. 2025

Die Keramiken, die Matthias Kaiser in seinem Atelier fertigt, sind feinsinnige Experimente in Form und Materialität. Ihre Oberflächen sind oft mit eigens hergestellten Glasuren aus selbst gesammelten Naturmaterialien wie Muschelschalen oder Quarzsand überzogen und lassen Bezüge zu Töpfertraditonen unterschiedlicher Kulturkreise anklingen. Dabei behaupten sie sich als eigenständige Gebilde, die sich der simplen Einordnung in Kategorien wie Kunsthandwerk, Gebrauchskeramik oder keramische Plastik entziehen. Für die Zwischenspiele 2025 entsteht eine Reihe neuer Objekte, in denen eine Auseinandersetzung mit Material, Produktion, Form und (Nicht-)Gebrauch, sowie mit Keramik am historischen Bauhaus zum Ausdruck kommt. In der Ausstellung Delphinium Maximum in der Raumbühne sind Vasen von Matthias Kaiser zu sehen, die als spezielle Behältnisse für Rittersporn entworfen wurden.

Leoni Fischer: Matthias, in deiner Praxis als Keramikkünstler stellst du seit Jahren Gefäße verschiedener Art her, zum Beispiel Schalen, Krüge, Vasen, flache Tabletts und mehr. Was ist das eigentlich, ein Gefäß? Und wann fängt etwas an, ein Gefäß zu sein?

Matthias Kaiser: Ein Gefäß ist es, wenn man etwas hineingeben oder darauf legen kann. Ich mache aber nicht einfach Gefäße, sondern eigentlich Skulpturen, die in jedem Detail überlegt oder intuitiv gestaltet und gehaltvoll sind, sich jedoch im Koordinatensystem des Gebrauchsgegenstands einer zusätzlichen Herausforderung stellen. Sie sollen berühren, aber auch dienen.

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LF: Du hast dein Atelier im österreichischen Ort Grafendorf und beziehst viele Materialien für deine Arbeit aus dessen direkter Umgebung. Gleichzeitig hast du viele Länder der Welt bereist und dort neue Fähigkeiten erlernt. Aktuell betreibst du ein zweites Atelier in Benin. Was bedeutet dieses Verhältnis von Hyperlokalität und Weltgewandtheit für dich und deine Arbeit?

MK: Die Rastlosigkeit ist wahrscheinlich eine Suche nach Ruhe und Geborgenheit. Eine Sehnsucht danach, sich irgendwo verstanden zu fühlen. Man begegnet diesem Gefühl aber nur punktuell und nicht geografisch konzentriert. Für mein Schaffen ist das Erforschen unterschiedlicher Ansätze derselben Arbeit eine wichtige Bereicherung. Man gewinnt ein großes Repertoire an Formensprachen und verliert die eurozentrische Weltanschauung.

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LF: Wie ist es zu dem starken (Lokal-)Materialbezug in deiner Arbeit ­gekommen? War es in der Zeit, in der du angefangen hast, in Europa üblich, so zu arbeiten?

MK: Ganz und gar nicht, die Affinität zu nicht reinen Materialien, die ihre Aussagekraft aus ihrer Verunreinigung beziehen, ist ein Resultat meiner Auseinandersetzung mit der japanischen Töpfertradition. In Europa wurde das Töpferhandwerk bereits von der Industrie verdrängt und der Kundengeschmack in Richtung Regelmäßigkeit und Uniformität gelenkt.
In meiner Praxis sollen der Zauber des Unerwarteten, die ablesbare Geschichte des Gestischen und die Bereicherung durch das Unregelmäßige wieder Platz finden.

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LF: Du hast einmal erzählt, ­ursprünglich hättest du dich mehr für Musik interessiert als für Kunst und Gestaltung. Was war dein Weg zur Keramik? Und welchen Platz hat die Musik heute noch in deinem Leben und deiner Arbeit?

MK: Musik war sicher meine erste Leidenschaft, und ich war in New York, um Saxophon zu spielen. Als ich dort einmal einen Töpfermarkt besuchte, wurde mein Interesse geweckt, und ich machte einen Töpferkurs, der dann zur eingehenden Beschäftigung mit Keramik und einem Studium an der Parsons School of Design führte. Auch wenn ich jetzt nicht mehr selbst Musik mache, ist sie mir doch als ständiger Begleiter bei meiner keramischen Arbeit und als Inspirationsquelle geblieben.

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LF: Keramik ist ein sehr altes, geradezu archaisches Medium. In der Archäologie geben keramische Fundstücke Auskunft über die Menschen, die sie gemacht haben und die Orte, an denen sie hergestellt wurden. In welcher Beziehung stehst du zu der Landschaft, die dich umgibt, und den Stoffen, aus denen sie besteht?

MK: Ich liebe die Natur und möchte durch meine Arbeit auch auf den Wert der unberührten Natur aufmerksam machen. Der Zyklus aus Heranwachsen, Reife und Vergehen spiegelt sich in Form und Oberfläche meiner Gefäße wider. Mein ästhetisches Ideal ist die Inklusivität: Nicht nur die Bewunderung des Erhabenen, auch die Besinnung auf den Verfall gehören dazu.

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LF: In deine Objekte, die für die Ausstellung in den Zwischenspielen entstanden sind, hast du auch deine Eindrücke von der Keramik einfließen lassen, die am historischen Bauhaus produziert wurde. Welche Überlegungen haben dich hierbei geleitet?

MK: Hier bin ich weniger auf die Formensprache der Bauhaus-Keramik eingegangen, sondern habe mich vielmehr an der Idee des Bauhauses orientiert, die Handwerk und Kunst als gleichwertige Partner versteht. In diesem Sinne habe ich versucht, eine neue Bauhaus-Keramik entstehen zu lassen, die meinen Überlegungen zur Begegnung von Töpferhandwerk mit gesellschaftlichen Herausforderungen entspricht.

Experimentierraum
21. 3. 19. 10. 2025

Der Experimentierraum widmet sich der Rolle und den verschiedenen Beziehungen von Material, Musik und Klang in den künstlerischen Prozessen der Zeichnerin Anna Gille und des Keramikers Matthias Kaiser. Gezeigt werden verschiedene Wechselwirkungen von Klang und Material, die in den Arbeiten der beiden deutlich werden. Ausgehend von ihren jeweiligen Arbeitsweisen werden verschiedene Zugänge zu Objekt und Bild eröffnet. So lässt sich Matthias Kaiser beispielsweise von Musik für seine Arbeit an der Töpferscheibe inspirieren und auch die Ausschnitte der Computerspiel-Landschaften, die in Anna Gilles Zeichnungen zitiert werden, lassen sich kaum aus ihren ganz eigenen Klanglandschaften herauslösen.

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Matthias Kaiser an der Töpferscheibe, 2021
© Foto: David Schermann

Projektförderung Zwischenspiel „Matthias Kaiser“: