„Schnee und Eis schmelzen, die Landschaft trocknet aus, versandet. Auch all die ambitionierten Sätze, die retten könnten, versanden, weil wir dann doch nicht wollten. Gruselige Schauer jagen Angstgänse über die Haut, beim Schauen auf das, was als unser trauriges toxisches Werk an der Erde gilt. Luzide gemalte Klimakrisenlandschaftsbilder in Farben, die unter den Lidern brennen, können menschengemachte Probleme zwar nicht lösen, aber sie regen mindestens eine Art Überlebenswerk am Planeten an.“ (Anna Meyer, 2023 )

In der ehemaligen Weberei zeigt Anna Meyer, Residency Künstlerin 2023, unter dem Titel „Planet B Haus“ neue Malereien und Modelle. Trennlinien zwischen Natur und Kultur, Umwelt und Inwelt geraten ins Rutschen, räumliche und zeitliche Grenzen lösen sich auf. An deren Stelle treten schwebende, fluide Identitäten und Hybridisierungen von Tier, Mensch, technoiden Wesen, Belebtem und Unbelebtem. Meyer verbindet in ihren Arbeiten feministische mit ökologischen Aspekten. Dabei setzt sie politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Asymmetrien und Verquickungen gleichermaßen ins Bild. Bauhausmoderne und Aufklärung, Dessau und Wörlitzer Gartenreich verschmelzen in die Jetztzeit gedreht, eine Sichtachse durch die Zeiten.

Interview

Anna Meyer zu ihrer Ausstellung „Planet B Haus“, 2024

Anna Meyer im Gespräch mit Barbara Steiner

Barbara Steiner: Du warst 2023 ­Residency-Künstlerin im Meisterhaus Muche. In der Zeit hast du das Gartenreich Dessau-Wörlitz erkundet, dich in die Geschichte des Bauhauses vertieft und erste Skizzen gemacht. Worauf richtete sich dein Interesse, welche Aspekte haben dich am meisten interessiert?

Anna Meyer: Mich hat im Zusammenhang mit der Aufklärung das Wörlitzer Gartenreich interessiert. Dort zeigt sich ein gesamtheitliches Denken, von dem sich auch die Bauhäusler* innen offensichtlich ­inspirieren ließen. Dieses ist auch heute wieder brennend aktuell für unsere Zeit und ihre Herausforderungen. So habe ich angefangen, die feministische Aufarbeitung des Bauhauses, Fragen der Klimakrise und ganzheitliches ökologisches Denken mit der Aufklärung kurzzuschließen und in unsere Zeit zu drehen. Die Themenkomplexe verschmelzen dann über die Malerei ideal miteinander. An der Schnittstelle irrealer Momente und harter Realität ­werden die Bilder zum Schauplatz eines Dilemmas und der Suche nach ­Lösungen.

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BS: Kannst du anhand eines ­Beispiels ­skizzieren, auf welche ­Weise du die Ebenen und Motive ­verbindest?

AM: Im Wörlitzer Gartenreich steht das erste Naturschutzdenkmal, genannt Warnungsaltar. Dieser ist sofort in meine Bildwelt gerutscht, zusammen mit den Zitaten „Toleranzblick“ und „Der Besserung“. Das sind alles Wörter, die uns durch das „Populismuszeitalter“ – wie ich es gerne nenne – leiten könnten. In meinen Bildern trägt Diana, die Göttin der Jagd, folgerichtig eine Warnweste, wie sie auch die Letzte Generation verwendet, sie zeigt dem „Holzdummie“ die Richtung vor. Die Klimakleber*innen ruhen sich auf der Wiese von ihrem schweren Geschäft aus, oder kleben sie bereits auf der Wiese fest? Die Bronzestatue von Gorbatschow – in gelbblauer Warnweste – wendet sich angesichts des Ukrainekriegs erschrocken ab – so hat er sich die postsowjetische Zeit nicht vorgestellt: „Frauhaus, übernehmen Sie!“

Die Zeitachse dreht sich durch die Geschichte in die globale Jetztzeit, „Das Kapital“ verkommt zum Kapitalismus, „Der Konsum“ zur Konsumwelt, „Die Gewalten“ stehen unter Strom, Aktion und Reaktion produzieren Terrorismus, Krieg, Grauen. So kommen die Modelle und Bilder automatisch über solche Zeitachsen zusammen. Ich hatte Anregungen, Beobachtungen und Ideen in meinem Skizzenbuch gesammelt, in klein­formatigen Bildern zusammengebaut, im Atelier haben sich die Bilder dann fast von selbst gemalt.

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BS: Die Modelle sind in der Modellwerkstatt der Stiftung Bauhaus Dessau entstanden. Die Materialien hast du teilweise auf deinen Spaziergängen gefunden, teilweise stammen sie aus unseren Restbeständen und wurden von dir entsprechend umgearbeitet bzw. weiterverarbeitet. Auch in früheren Modellen arbeitetest du mit Gefundenem, häufig mit jenen Materialien, die andere in den Müll werfen. Was reizt dich an solchen Materialien?

AM: Kunst ist immer auch Recycling von Ideen, ein Verdauen von Welt, so erscheint es mir nur folgerichtig, wenn ich mir vorhandene Materialien aneigne, Reste umarbeite. Im buchstäblichen „Darauffallen“ der Öl­farben sehe ich dann ein wenig Veredlung der Nachhaltigkeit. Man kann auch sagen: Der Trash winkt dem Humor einen flüchtigen Moment zu. Der ­böswitzige installative Raum ist eine gewitzte Ergänzung zum Bild.

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BS: Es finden sich immer wieder ­Bezüge zum Bauhaus. Hier setzt du mit feministischer Kritik an. ­Welche Überlegungen haben dich ­dabei geleitet?

AM: Frauhaus hatte es schwer, ­damals wie heute, Frau wurde zwar gerufen, aber dann doch nicht ­gebraucht, in Textilien eingewebt musste sie ihre überbordende beängstigende Kreativität zügeln. Die männlichen Mitmenschen, traumatisiert vom düsteren, immer noch ­nahen Grauen des Ersten Weltkriegs, faszinierten mit umwerfend beeindruckenden Ideen, setzten gar die ­Moderne in die Welt, nur leider auf Kosten der genauso großartigen Ideen der Frauen. Zusammen ent­warfen sie eine bessere, schnellere, klügere Welt. Nur der Teil mit M ­wurde dafür gewürdigt.

Das Haus als Verdauung, als Architektur, als Verdauung der Ideen, das Haus aber auch als Trauma, die Unterdrückung der Haus-Frau, der Künstlerin – das interessiert mich. So entstand FRAUMA, als Symbol, aber auch als Ergebnis einer zwischen den Kriegen sich aufbäumenden Generation von Frauen, leidend am Trauma des Krieges, doppelt niedergedrückt von den Fetischen, Karrieren und Egogewalten der Männer. Frauma hat offensichtlich Verdauungsbeschwerden, sie fließen in die Kreislaufwirtschaft und werden somit erneut fruchtbar.

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BS: Kommen wir auf die Malerei zu sprechen: Bis heute hält sich das Vorurteil, Malerei könne nicht gesell­schaftlich relevant sein. Auch am ­historischen Bauhaus passten die Maler nicht so recht in ­revolutionäre gesellschaftliche Überlegungen. Du sprichst ihr sehr wohl eine gesellschaftliche Rolle zu. Worin liegt diese?

AM: Malerei kann sehr viel leisten, wenn sie in die Gegenwart gedreht wird, was mein Anspruch ist. Sie ­verbindet auf geradezu ideale Weise raue Realität und nicht klar benennbares Unbehagen. Sie kann inhaltlich agieren, indem gegenwärtige Zeitfragen gespiegelt und verhandelt werden, aber eben nicht 1 : 1 wiedergegeben, sondern durch die Malerei verändert – aufgearbeitet. Ich sehe eine Schnittstelle zwischen Zeitdokumentation und (de)figurativer Malerei, die dem Inhalt einen anderen Weg weist, ihn entzieht und ihn modifiziert wieder einbringt.

Weil das Unaussprechlich-­Emotionale über die Malerei verdichtet wird, kann sie eine besonnene Relevanz ­kriegen. Es ist eine Mischung aus Sachlage und Erfindung, die eine eigene Stimmigkeit finden kann.

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BS: Die Art und Weise deines ­Malens hat sich im Laufe der Zeit selbst immer wieder verändert: In den jüngeren Bildern sehe ich stark surreale Komponenten. Warum ist das für dich eine geeignete Darstellungsform um über die Gegenwart mit all ihren Verwerfungen zu sprechen?

AM: Ich nenne es gerne „Irrealismus“, ein Mischwort das aus irr, ­irren und irreal besteht, ein Zustand der für mich treffend den heutigen verwirrenden Zeitzustand zwischen Künstlicher Intelligenz und Realität beschreibt. Die irren Bildmomente haben aber auch etwas mit dem gezielten Herumirren beim Malen zu tun. Der Aufprall entsteht, wenn die Schönheit der Welt auf die Grausamkeit der Zeit stößt und sozusagen über die erschrockenen Farbformationen in ein Bild fällt. Inhalt schmilzt über die Farben in den Bildgegenstand.

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BS: Deine Bilder und Modelle wollen decodiert werden. Dies bezieht sich nicht nur auf eine Vielzahl von spannenden Motiven/Details, die sich auf Vergangenheit und Gegenwart beziehen, sondern es geht immer auch um die Malerei selbst. Ich sehe eine sehr intensive Auseinander­setzung mit ­Malereigeschichte, mit den Genres der Malerei – etwa mit dem (­heroischen) Landschaftsbild, aber auch mit Malweisen, wie dem „bad painting“ – also der absichtsvollen Abwendung von ästhetischen Konventionen. Muss man die Malerei aus der Malerei ­heraus angreifen um sie ­gesellschaftlich relevant zu halten?

AM: Ja unbedingt! Sie angreifen, aufgreifen, ins Geschehen drehen und dennoch bereit zum Verhandeln bleiben – ein Ausloten zwischen Flanieren und Konkretisieren.

Ich nehme ein Beispiel, eine Werkgruppe, die ich 2007 begonnen habe: Futurefeminismus. Es handelt sich um eine zitathaft gemalte Umschreibung der Kunstgeschichte, um eine sehr intensive Hinterfragung und Auseinandersetzung mit der Malerei, von der Vergangenheit bis in die Gegenwart.

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BS: Bei den Landschaftsbildern ­arbeitest du dich ja nicht nur am ­Genre ab, sondern deine Bilder ­werden mitunter im Freien, also auch in der Landschaft, ungeschützt ausgestellt – mit allen Konsequenzen für das Bild.

AM: In den Landschaftsbildern setze ich dem uralten Genre Malerei die Klimakrise und eine feministische Sicht entgegen, diese Bilder sind im Außenraum aufgestellt und beanspruchen zeitweise keine museale Konservierung. Sie werden sichtbar für alle. Im Außenraum malt das Wetter mit, sie sind ungeschützt, das steht auch für das Schutzlose all meiner Bildwelten, sie sind unerschrocken und ausgesetzt, versuchen dabei leislaut einen Hall von Revolte zu hinterlassen.

Für die Ausstellung Planet B Haus habe ich jedoch einen anderen ­Ansatz gewählt: Die Zeitachsen erwähnte ich ja bereits. Mein Interesse am Humanismus, an Aufklärung, am Bauhaus wird mit der Gegenwart verbunden – und das Ganze leichtfüßig über die Malerei, die mit sich selbst streitet. Ironisiert wird dies über die jeweiligen hehren Zitate, die allesamt in dieser Bauhausgegend zu finden sind.

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BS: Die Malerei lebt also fort, wenn sie die Tradition nutzt, aber entlang gesellschaftlicher Realitäten laufend modifiziert wird?

AM: Wir haben die Malerei zwar im Trash gebadet, das hat dem uralten Genre jedoch nicht geschadet. So sollen die Bildwelten etwas können, sie wollen z. B. sagen: Nimm das mit auf deinem Weg, den Toleranzblick, du wirst dies noch brauchen in ­diesen unruhigen kaltblütigen Zeiten der ­Reaktion.