Meisterhäuser

Meisterhäuser

Als Wohnhäuser für die Meister des Bauhauses gedacht, waren die Meisterhäuser immer auch Anschauungsobjekte für modernes Bauen und Wohnen. Die Ausstattung mit fließend warmem Wasser, Heizung und modernen Küchengeräten erleichterte das Alltagsleben. Gasbadeöfen der Werke Junkers & Co. versprachen – so deren Werbung – „alle Tage Badetage“.

Entwurfzeichnung auf gelblichem Papier zeigt in einer Reihe die Meisterhäuser. Auf der Straße davor sind schemenhaft Menschen angedeutet.
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Meisterhaus, Zeichnung, 1925
© Stiftung Bauhaus Dessau (I 2590 G) / © (Gropius, Walter) VG Bild-Kunst, Bonn 2023 / Image by Google

„bauen bedeutet gestalten von lebensvorgängen. der organismus eines hauses ergibt sich aus dem ablauf der vorgänge, die sich in ihm abspielen. in einem wohnhaus sind es die funktionen des wohnens, schlafens, badens, kochens, essens, die dem gesamten hausgebilde zwangsläufig die gestalt verleihen.“ (Walter Gropius, 1925)

„heute wirkt noch vieles wie luxus, was übermorgen zur norm wird.“ (Walter Gropius, 1926)

Errichtet wurden die sogenannten Meisterhäuser 1925/26 im Auftrag der Stadt Dessau in einem Kiefernwäldchen unweit des Bauhausgebäudes. Die drei baugleichen Doppelhäuser und ein Einzelhaus sollten – so die Überlegung von Walter Gropius – nach einem Baukastenprinzip mit industriell vorgefertigten Teilen errichtet werden. Damit wollte der Architekt die Prinzipien des rationellen Bauens umsetzen, sichtbar in der Architektur und im Prozess des Bauens. Aufgrund der begrenzten technischen Möglichkeiten zur damaligen Zeit ließ sich dies jedoch nur teilweise durchführen. Die Häuser wurden auf einem gestampften Betonfundament aus Jurko-Steinen gemauert, die jeweils von einem Arbeiter auf der Baustelle verarbeitet werden konnten.

Ineinander geschobene, unterschiedlich hohe würfelförmige Körper geben den Häusern ihre Gestalt. Wobei eine Hälfte des Doppelhauses jeweils um 90 Grad gedreht ist und zusätzlich eine dritte Etage mit zwei Zimmern aufweist. Verglaste, zur Straße hin ausgerichtete Ateliers und senkrechte Glasbänder entlang der Treppenaufgänge bringen Licht ins Gebäude und erlauben Ausblicke in das Kiefernwäldchen. Die hell gestrichenen Häuser sind mit großzügigen Terrassen und Balkonen versehen. Sie erweitern auf diese Weise das Wohnen nach draußen. Die Fensterlaibungen sowie die Unterseiten der Balkone und die Fallrohre sind farbig akzentuiert.

Zeichnung eines Meisterhauses mit Ansichten von Nord und Süd sowie eines Grundrisses mit Schattenwurf.
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Meisterhaus Zeichnung, 1927/28.
© Stiftung Bauhaus Dessau (I 18472 F) / © (Püschel, Konrad) Erbengemeinschaft nach Konrad Püschel

„Tischtücher brauchte man am Bauhaus gar nicht. Die Tische dort hatten glatte Flächen … Jedenfalls wischte meine Mutter den Tisch nach dem Essen nur feucht ab.“ (Livia Klee-Meyer, 2009)

„Der Sonntag ist mir ein gefürchteter Tag schon ohnehin, aber diese Menschen, die unablässig von früh bis spät vorbeischlendern und vor unseren Häusern glotzend stehen bleiben!“ (Lyonel Feininger, 1927)

Zu den berühmten Bewohner*innen der Meisterhäuser gehörten: László Moholy-Nagy und Lyonel Feininger, Georg Muche, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky und Paul Klee mit ihren Familien. Später lebten hier unter anderem Hannes Meyer, Ludwig Mies van der Rohe, Josef und Anni Albers, Lou und Hinnerk Scheper, Gunta Stölzl sowie Gertrud und Alfred Arndt. Die heutige Benennung der Häuser geht auf ihre ersten Bewohner*innen zurück.

Zur Ausstattung gehörten platzsparende Einbauschränke, Heizung, Warmwasser und moderne Haushaltsgeräte. Nach Funktionen geplant und getrennt ist die Raumfolge von Speisezimmer, Anrichte und Küche. Die Trennung der Sanitär- und Wirtschaftsräume erfolgte nach funktionalen und hygienischen Gesichtspunkten: Die Toilette wurde vom Bad, und die Spül- von der Arbeitsküche abgeteilt. Ein gefliester Boden und ein Ölanstrich der Wand galten ebenfalls als Verbesserung der hygienischen Verhältnisse.

Walter Gropius und László Moholy-Nagy richteten ihre Häuser mit Möbeln von Marcel Breuer ein. Andere Meister brachten ihr eigenes Mobiliar mit. Bei der Farbgestaltung der Innenräume entwickelten Künstler wie Paul Klee und Wassily Kandinsky eigene Ideen, die im engen Zusammenhang mit ihrem Werk stehen.

„Die Wohnung (Haus Gropius) war wunderbar groß. Die Terrasse eignete sich hervorragend zum Dreiradfahren. Ich sehe mich, wie ich vier oder fünf Jahre alt bin und in einem bunten Kinderanzug dort herumkurve.“ (Axel Rackow, 2014, Meisterhausbewohner 1940–1945)

Auf Betreiben der NSDAP wurde das Bauhaus in Dessau 1932 geschlossen. Die Meisterhäuser wurden nach dem Auszug der Bauhäusler*innen vermietet und durch Umbauten stark verändert. Die Bombardierungen der Stadt im Frühjahr 1945 zerstörten das Direktorenhaus sowie die Meisterhaushälfte Moholy-Nagy. Nach dem Krieg wurden die bewohnbaren Häuser wieder vermietet. Auf dem erhaltenen Kellerfundament der Direktorenvilla entstand 1956 ein serientaugliches Einfamilienhaus – das Haus Emmer.

In den 1990er-Jahren kam es zu einer umfassenden denkmalgerechten Sanierung der Häuser Feininger (1994), Kandinsky | Klee (2000) und Muche | Schlemmer (2001). Jahrelang wurde debattiert, ob und wie die zerstörten Gebäude wiederherzustellen wären. 2010 kam dann die Entscheidung: Die Meisterhäuser Gropius und Moholy-Nagy sollten nicht nach historischem Vorbild wieder aufgebaut werden. Es sollte lediglich eine Annäherung an deren Erscheinungsbild erfolgen. Mit der Umsetzung wurde 2010 das Büro Bruno Fioretti Marquez Architekten aus Berlin betraut.

Die neu gebauten Meisterhäuser von der Gartenseite her betrachtet. Die Fenster sind aus milchigem Glas.
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Neue Meisterhäuser, 2015
© Stiftung Bauhaus Dessau / Bruno Fioretti Marquez Architekten, 2010–2014 / Foto: Ritzau, Doreen, 2015

„Wichtig war es, die Häuser [Neue Meisterhäuser Gropius und Moholy-Nagy, Anm.] von den meisten Nutzungen zu befreien und zu sagen, dass diese Häuser erst einmal ganz für sich stehen müssen. Sie sind zunächst Exponate ihrer selbst.“ (Philipp Oswalt, 2014)

Die Lücken im Gebäudeensemble wurden 2014 geschlossen. Das Büro Bruno Fioretti Marquez Architekten aus Berlin entwarf für die zwei zerstörten Häuser eine sogenannte Architektur der Unschärfe. Einen historisch exakten Wiederaufbau bewusst vermeidend, werden bei den Neuen Meisterhäusern Gropius und Moholy-Nagy lediglich die originalen Konturen und Fensteröffnungen der Häuser sichtbar. Es sind Annäherungen und Interpretationen eines Bestands, der verloren gegangen ist. Im Innern der Häuser realisierte der Künstler Olaf Nicolai „Le pigment de lumière“ (2014), eine Arbeit, die mit der Textur des Wandputzes und dem Lichteinfall spielt.

Das Doppelhaus Kandinsky | Klee ist nach umfassenden Instandsetzungsarbeiten im Jahr 2018/19 seit April 2019 wieder für Besucher*innen geöffnet. Das Doppelhaus Muche | Schlemmer wird seit 2016 erneut bewohnt. Die Bauhaus Residenz ermöglicht es Künstler*innen aus aller Welt, wieder in den Meisterhäusern zu leben und zu arbeiten. Im Haus Moholy-Nagy | Feininger hat die Kurt-Weill-Gesellschaft ihren Sitz.

Die Stiftung Bauhaus Dessau hat 2023 internationale Künstler*innen eingeladen, das Meisterhaus Muche | Schlemmer auszustatten. Die Wahl der Jury fiel auf Julia Miorin für das Haus Muche sowie Henrike Naumann, Jun Yang, Sol Calero, Anita Leisz, Kang Sunkoo und Steve Bishop für das Haus Schlemmer.

Die Künstler*innen setzten sich auf verschiedenen Ebenen mit dem historisch aufgeladenen Ort und seiner wechselvollen Geschichte auseinander. Im Mittelpunkt stand der Aspekt der Gastfreundschaft: Menschen und Objekte werden empfangen, willkommen geheißen und zusammengebracht – geleitet von Anerkennung, Respekt und Aufmerksamkeit – nicht zuletzt auch gegenüber dem Gebäude.

„Weil die Architektur so eine besondere ist, viele Farbigkeiten schon gesetzt sind, und der Bestandsschutz über allem steht, wählte ich eine tendenziell schlichte Formsprache des Mobiliars,“ erklärt Julia Miorin. „Ich begriff die selbst entworfenen Objekte und Möbel als eine möglichst passgenaue Ergänzung, die das Vorhandene betonen oder unterstützen, sich daran anschmiegen, kleine Kontraste setzen, Raum für Entfaltung der Gäste zulassen und – hoffentlich – auf subtile Weise anregend sind.“

Die Meisterhäuser und ihre Ausstattung waren immer auch Nutz- und Anschauungsobjekte. Gracious Hosts setzt dies fort: Die Ausstattung des Hauses Muche | Schlemmer wird künftig von den Residenzkünstler*innen der Stiftung Bauhaus Dessau während ihrer Aufenthalte genutzt. In der Zeit, in der das Haus nicht bewohnt wird, kann es im Rahmen einer geführten Tour besichtigt werden.

„Ich muss mich vielleicht erst noch einleben, aber im Augenblick kommt mir meine Existenz hier sehr museal vor. Es ist eben ein Museum, und ich bin Teil des Ausstellungsmobiliars. Gleichzeitig ist mir klar, dass auch eine Art von Austausch stattfindet: Ich darf hier wohnen und arbeiten, aber im Gegenzug performe ich auch den Residenzler. Vor dem Haus steht ja auch so ein Schild in der Art: Achtung, Residenzler, nicht klopfen, die erschrecken sich sonst. Insofern wohne ich nicht nur in einem Museum, sondern auch in einer Art Zoo. Das ist tatsächlich neu für mich.“ (Hannes Bajohr, 2021)

Seit 2016 wohnen und arbeiten Musiker*innen und bildende Künstler*innen aus der ganzen Welt im Rahmen der Bauhaus Residenz der Stiftung Bauhaus Dessau im Doppelhaus Muche | Schlemmer. In Zusammenarbeit mit der Kurt-Weill-Gesellschaft wird zudem jährlich ein Residenz-Aufenthalt an junge Musiker*innen vergeben, die dann beim Kurt-Weill-Fest auftreten.

Blick in die hell erleuchteten Atelierfenster des Meisterhaus Muche-Schlemmer. An dem Schreibtischen sitzt ein junger Mann auf der linken Seite und eine junge Frau auf der rechten Seite des Doppelhauses.
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Residenz Künstler im Haus Muche und Schlemmerr, 2016
© Stiftung Bauhaus Dessau / © (Gropius, Walter) VG Bild-Kunst, Bonn [Jahr] / Foto: Ritzau, Doreen, 2016