Clément Cogitore

Clément Cogitore

In seinen filmischen Arbeiten untersucht Clément Cogitore physische, soziale und politische Dimensionen des Körpers und der Gesten.

Zwischen Kino und zeitgenössischer bildender Kunst angesiedelt, interessiert er sich für die Bedingungen und Umstände des menschlichen Zusammenlebens, für dessen Bilder und Repräsentationen, für Rituale, individuelle und kollektive Erinnerung.

In Videos wie Les Indes Galantes (Das galante Indien) und Morgestraich formen und formieren sich über die Bewegung der einzelnen Körper und Gesten gemeinschaftliche Körper und kollektive Energie. Les Indes Galantes zeigt, wie der individuelle Ausdruck der Performenden auf ritualisierte und sozial codierte Bewegungen trifft und diese immer wieder herausfordert. Bei Morgestraich verschwindet die Einzelperson in einer trommelnden und pfeifenden Gruppierung, die sich unheimlich anmutend durch die Dunkelheit bewegt, während die Gesichter hinter Masken und Kostümen verborgen sind.

Cogitore fragt nach den Bedingungen von Gemeinschaften, unter welchen Umständen sie zustande kommen und wie sich Bindekräfte und kollektive Energien entwickeln – emanzipatorisch, rebellisch und dabei durchaus auch das jeweils bestehende soziale und politische Gefüge bedrohend.

Eintritt frei

Barbara Steiner: Der diesjährige ­Programmschwerpunkt des ­Bauhaus Museums Dessau kreist um die physischen, sozialen und politischen Dimensionen des Körpers und der Gesten. Wir thematisieren von verschiedenen Seiten, wie Körper und Gesten gesellschaftlich geprägt und kulturell eingebettet sind, sprechen aber auch von der Kraft des Kollektivs – im emanzipatorischen, aber auch im bedrohlichen Sinne.

Für deine Einzelausstellung hast du dich entschieden, „Les Indes Galantes“ (Das galante Indien) und „­Morgestraich“ (Morgenstreich) zu zeigen. Warum fiel die Wahl auf diese beiden Videos?

Clément Cogitore: Beide Videos ­haben gemeinsam, dass sie ­Gruppen oder Gemeinschaften zeigen und inszenieren, die durch die Musik in Bewegung und Spannung versetzt werden.

Im Fall von „Les Indes Galantes“ handelt es sich um Krump-Tänzer*innen. Das ist ein Tanz, der Ende der 1990er Jahre in den Vororten von Los Angeles entstand. Zugrunde liegt meiner Inszenierung ein Auszug aus „Les Indes galantes“, einer französischen Barock-Ballettoper aus dem Jahr 1735, die von Jean-Philippe ­Rameau komponiert und auf der Bühne der Pariser Oper getanzt wurde. Bei ­„Morgestraich“ handelt es sich um Basler Karnevalscliquen (Clique Seibi und Unbaggene), die im Rhythmus ihrer Trommeln und Flöten auf einem sehr großen Laufband in einem dunklen Theater laufen. Das Laufband sieht man natürlich in meiner Inszenierung nicht.

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BS: Auf den ersten Blick wirken die beiden Videos unterschiedlich: Im einen Fall sehen wir einen tänzerisch zum Ausdruck gebrachten Protest, im anderen einen Karnevalsumzug. Doch haben beide etwas Konfrontatives, das die Betrachter*innen direkt adressiert und dem man sich nicht entziehen kann.

CC: In „Les Indes Galantes“ geht es um eine geopolitische und historische Konfrontation zwischen einem Tanz des Protests, der von jungen Tänzer*innen erfunden wurde, um jene Spannung und Gewalt auszudrücken, die sie nach der Niederschlagung der Unruhen in den Schwarzen Vierteln von L.A. empfanden, und einer Musik, die zur schönsten der französischen Musik zählt, auch wenn das Libretto unter dem Deckmantel des aufgeklärten Humanismus in Wirklichkeit offen kolonial ist. Die Körper der Tänzer*innen bieten meiner Meinung nach eine kathartische, wütende Antwort auf die Ideologie, die sie hervorgebracht hat. Gemeinsam mit den Tänzer*innen und Choreograf*innen haben wir versucht, durch Dialog, Choreografie und Inszenierung diese Geschichte und dieses Erbe zu hinterfragen und neu zu beleuchten.

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BS: „Morgestraich“ mutet auf den ­ersten Blick konträr an. Die Bewegungen der Gruppe sind eher verhalten.

CC: „Morgestraich“ macht nur auf den ersten Blick einen friedlicheren Eindruck. Es zeugt aber auf seine Weise von uralten Spannungen. Der Basler Karneval beginnt mit einem Umzug durch die Nacht, begleitet von schrillen Klängen der Pfeifen und Trommeln. Bevor der Tag anbricht – und mit ihm der Ausbruch von Freude und Festlichkeit – spielt sich dieser ganz besondere Moment ab, in dem alle Lichter der Stadt erlöschen und die Feierlichkeiten in einer einzigartigen Form beginnen, die ich als mysteriös, beunruhigend und fast düster empfinde. Der Grund dafür ist, dass diese erste Prozession von älteren und dunkleren Traditionen genährt wird: von Totentänzen und mittelalterlichen religiösen Prozessionen zur Abwehr von Epidemien. Die Gemeinschaft versammelte sich, getragen von der Musik durchquerte sie die Dunkelheit und beschwor ihre Angst vor dem Tod, um auf Heilung und Licht zuzugehen.

Es ist diese Beziehung zwischen ­Körpern und Musik, die Geschichte dieser Körper und dieser Musik, die mich berührt, und die ich in dieser Ausstellung zu entfalten versuche. Ich glaube, dass „Inszenieren“ vor allem darin besteht, die Bedingungen für eine Begegnung zu schaffen: zwischen Körpern, Gesichtern, Landschaften, Orten, Lichtern, ­Texten, Musik usw. In meinem Arbeitsprozess macht das Ergebnis dieser Begegnung, der Dialog mit den Teilnehmer*innen und Mitarbeiter*innen, zusammen mit Bildausschnitt und Montage, das Werk aus.

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BS: In Deiner Arbeit sehe ich stark reflexive Aspekte, sowohl in inhaltlicher als auch in medialer Hinsicht. Sich in Traditionen zu bewegen, diese immer wieder zu prüfen und sich Verstrickungen zu stellen – etwa was das koloniale Erbe anbelangt – dies trifft ja nicht nur auf die Erzählungen sondern auch auf den Film selbst zu. Sind die filmischen Mittel, die eingesetzt werden, selbst mit Vorsicht einzusetzen?

CC: Filmische Mittel müssen mit Vorsicht eingesetzt werden. Die Fragen des Standpunkts, des Aufbaus und der Bewegung des Blicks sind für die Inszenierung entscheidend. In „Les Indes Galantes“ sollte der Eindruck erweckt werden, dass die Kamera in die Gruppe eintaucht. Als wäre die Kamera eine Teilnehmerin des „Battles“, der sich vor unseren Augen abspielt, sollte sie selbst eine bewegliche, sensible, menschliche Präsenz haben. Die Frage des Schnitts war ebenfalls sehr wichtig, da der Film in einer Mischung aus Improvisation und choreografischem Schreiben entstand: Manchmal wusste ich genau, welche Gesten welche Tänzer ausführen würden, manchmal hatte ich keine Ahnung. Die Arbeit des Schnitts hat es ermöglicht, diese Spannung zwischen Skript und Improvisation, zwischen Ordnung und Chaos zu ­harmonisieren und zu verflüssigen, so dass man nie wirklich weiß, was geschrieben ist und was nicht.

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BS: Bei „Morgestraich“ bist du offenbar ganz anders herangegangen…

CC: Für „Morgestraich“ wünschte ich mir etwas viel Festeres, Rigideres. Die einzige Bewegung im Bild sollte die der Performenden sein. Ich wollte einen theatralischen Effekt erzeugen, den einer endlosen Parade, bei der die Figuren immer weitergehen, ohne sich der Kamera zu nähern. Die Idee war, dass der Betrachter des Videos das Gefühl bekommt, dass es in dieser Prozession eine Anomalie gibt, ohne jedoch genau zu wissen, auf welcher Ebene. Im Gegensatz zu „Les Indes Galantes“, wo es eine Dramaturgie, Musik und Choreographie gibt, gibt es im „Morgestraich“ keine Dramaturgie: Es ist ein repetitiver, meditativer Marsch, ein Ritual: ein Gang durch die Dunkelheit.

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BS: Kommen wir abschließend zur Präsentation der Arbeiten: Die beiden Filme werden in einem Raum gezeigt, die Projektionsflächen sind aus Plexiglas. Was sind Deine Überlegungen dazu?

CC: Bei meinen ersten Besuchen am Bauhaus Dessau war ich sehr beeindruckt von der tiefen Verbindung zwischen der Architektur der Räumlichkeiten und allen Formen von Kreativität und Aktivitäten, die sich innerhalb der Räumlichkeiten entfalten. Die Verwendung von Glas, das Transparenzen und die Durchlässigkeit von Räumen ermöglicht, hat mich sehr interessiert. Ich wollte auf meine Weise auf diese Transparenz reagieren, indem ich die Videos auf große Plexiglasbildschirme projiziere, die auf dem Boden aufgestellt werden. Dies ermöglicht es, die Bilder am Ort und in der Architektur zu verankern, aber auch das Gefühl der Transparenz und des Fließens, das die Bauhausgebäude durchzieht, in die Dunkelheit zu verlängern. Dadurch wird den Bildern auch eine gewisse Materialität oder Körperlichkeit verliehen, und die Zuschauenden werden selbst inmitten der Bilder und Körper projiziert, als wären sie Gäste auf einer Theaterbühne.

Cogitore Clément, film still from: Les Indes Galantes, 2017, Video, Colour, 6 min. Production: Opéra national de Paris – 3° scène / Les Films Pélléas. Choreography: Brahim Rachiki, Igor Carouge, Bintou Dembele. Courtesy of the artist, Chantal Crousel Consulting, Paris (FR) and Reinhard Hauff Gallery, Stuttgart (DE)