Study Rooms 2024: Nach der Industrie

Study Rooms 2024: Nach der Industrie

Die Zusammenführung von Gestaltung und industrieller Produktion war zentral für die Ausrichtung des historischen Bauhaus Dessau. Für die Herstellung neuer Materialien und die Herausbildung entwickelnder Technologien musste Energie erzeugt und Ressourcen gewonnen werden. Eingriffe in Landschaften zur Ausschürfung der Rohstoffe und der Ausstoß umweltbelastender Stoffe sind die Folgen des Industriezeitalters.

Doch was kommt nach der Industrie? Wie kann ein Strukturwandel sozial und ökologisch gerecht gestaltet werden? Die Bauhaus Study Rooms finden 2024 in Kooperation mit dem Festival OSTEN in Dessau und Bitterfeld-Wolfen statt und widmen sich den postindustriellen Konditionen des Designs.

Nach der Eröffnung am 1. Juni finden am 2. Juni wie auch am 14. und 15. Juni verschiedene Workshops, Vorträge und Spaziergänge, während des Festivals in Bitterfeld-Wolfen statt, welche Design-Praktiken vorstellen, die das Erbe der industriellen Produktion mit einbeziehen und veränderte Perspektiven auf eine Region und Landschaft im Wandel aufzeigen.

Die Auftaktveranstaltung am 14. Juni im Bauhaus Museum Dessau geht eine Verbindung mit der Veranstaltungsreihe Freitagsgruppe ein. Sie nimmt das Festival OSTEN zum Ausgangspunkt und diskutiert künstlerische und gestalterische Praktiken, von denen Impulse für ein nachhaltiges Zusammenleben ausgehen. Mit dem Anliegen, anti-extraktivistische Alternativen zu dem ausbeuterischen Vorgehen moderner Produktion zu entwickeln, widmet sich das Programm materiellen Kreisläufen und Prozessen des Co-Designs, bei denen menschliche und nicht-menschliche Aktivitäten zusammenwirken.

Sa, 1. Juni 2024, 16 Uhr

Eröffnung

Festival OSTEN: WELT – WEIT WOLFEN

So, 2. Juni 2024, 15 – 18 Uhr

Verwobene Identitäten. Eine textile Landschaft Bitterfeld-Wolfens

Laya Chirravuru, Maria Dinca
// Workshop
Alte Feuerwache Wolfen

Die Chemie-Abfälle der DDR belasten die Natur in und um Bitterfeld-Wolfen noch immer. Gleichzeitig gilt die Stadt am See heute als beliebtes Naherholungsgebiet. Die Designerinnen Laya Chirravuru und Maria Dinca verweben die verschiedenen, teils widersprüchlichen Identitäten der Stadt zu Teppichen und laden ein, persönliche Geschichten mit einzuflechten.

In ihrem Workshop entwickeln Laya Chirravuru und Maria Dinca großformatige, gewebte Teppiche, die die Vergangenheit und Gegenwart der Region sicht- und fühlbar werden lassen. Sie verwenden dafür Altkleider und frühere Erzeugnisse der Film- und Faserfabrik. Im verwobenen Zustand entstehen daraus neue Muster unserer Zeit. Als Inspiration dienen die textilen Werke der Bauhaus-Künstlerin Gunta Stölzl. Ihr abstrakter Stil war das Ergebnis von Web-Experimenten mit unkonventionellen Materialien, Techniken und Mustern. Das gemeinschaftliche Weben lädt zum Gespräch ein. Am Ende entscheiden Künstlerinnen und Workshop-Teilnehmende gemeinsam, wie die gefertigte „Landschaft“ genutzt werden soll – als Wandteppich mit Symbolcharakter oder als Sitzfläche, die für weiteren Dialog auf dem Festivalgelände einlädt?

Vorkenntnisse im Weben sind nicht erforderlich.
Konzeption: Laya Chirravuru, Maria Dinca und Kathrin Rutschmann
Sprache: Deutsch und Englisch

Fr, 14. Juni 2024, 15 – 18 Uhr

Denken wie ein Wald. Co-Design mit Mycelium

Elena Maldonado
// Workshop
Alte Feuerwache Wolfen

Wie erobert sich die Natur verlassene Industrielandschaften zurück? Der Workshop lädt zu einem Spaziergang durch die postindustrielle Landschaft und einer praktischen Übung ein. Die Teilnehmenden können von Pilzen lernen und über neue Ansätze für die Industrie der Gegenwart spekulieren.

Wo einst Fabriken standen, wachsen heute wieder Bäume und Sträucher. Die Gestalterin und Designforscherin Elena Maldonado lädt dazu ein, wie ein Wald zu denken und den Fokus auf das Zusammenwirken von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren zu lenken. Dass sich der Wald von der Industrie erholen kann, verdankt er einem unterirdischen Netz an Pilzen. Pilze versorgen Bäume mit Nährstoffen und zersetzen Schadstoffe. Der Workshop hebt die Bedeutung von Phantasie und Fiktion in der Interaktion zwischen Mensch und Natur hervor: Indem wir von der Natur lernen, insbesondere von der regenerativen, natürlichen Umwelt in Wolfen, können wir in einen aktiven Dialog mit ihrer Flora und Fauna treten.

Sprache: Deutsch und Englisch
Anmeldung erforderlich
In Zusammenarbeit mit PCH Innovations

Fr, 14. Juni 2024,  18 – 21 Uhr

Freitagsgruppe: Kunst + Umwelt

Bauhaus Museum Dessau

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Sa, 15. Juni 2024, 15 – 16:30 Uhr

Spurensicherung. Echos aus Staub

Ines Glowania und Rebekka Hehn
// Workshop
Alte Feuerwache Wolfen

Bitterfeld-Wolfen blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück. Ökonomisch, ökologisch, sozial und politisch hat die Stadt verschiedene Strukturwandel durchlaufen, die bis heute noch nicht abgeschlossen sind. Die Designerinnen Ines Glowania und Rebekka Hehn laden ein, sich mit dem postindustriellen Echo zu befassen und Ziegelsteine aus Industriestaub zu pressen.

An Schauplätzen des Strukturwandels in Wolfen sammeln sie gemeinsam mit den Teilnehmenden, Materialproben – die Hinterlassenschaften der Vergangenheit: Staub, Bauschutt, Fusseln und Ähnliches. Dabei wird das Gesammelte nicht im negativen Sinne als Abfall aus industrieller Produktion verstanden, sondern vielmehr als materielle Ressource, aus der mit Blick auf die Zukunft Neues entstehen kann. Der Staub repräsentiert Zeit und bildet eine Referenz zu den Orten, mit denen sie sich in ihrem Workshop auseinandersetzen. Nachdem die Fragmente der Vergangenheit geerntet sind, wird das gesammelte Material zu kleinen Ziegelsteinen verarbeitet. Auf diese Weise erhält jeder der Orte einen neuen Baustein, der symbolisch für dessen Geschichte steht.

Sprache: Deutsch und Englisch

Sa, 15. Juni 2024, 15 – 17 Uhr

Step Gently

Lili Carr und Teilnehmende des Masterstudiengang COOP Design Research
// Spaziergang
Treffpunkt: Alte Feuerwache Wolfen

Die Landschaftsarchitektin Lili Carr und Studierende am Bauhaus Dessau laden zu Spaziergängen durch die sich verändernden Landschaften von Wolfen ein. Ausgestattet mit den eigenen Sinnen und einer Vielzahl von Sensoren sind Teilnehmende eingeladen, herauszufinden, was den Boden formt und in welcher Beziehung wir zu den Pflanzen und Lebewesen stehen.

Seit dem späten 17. Jahrhundert hat sich der Boden von Bitterfeld-Wolfen kontinuierlich gewandelt. Braunkohleabbau und Industrie haben die Geologie durcheinandergewirbelt, den Lauf der Bäche und des Grundwassers verändert und die Zusammensetzung des Bodens beeinflusst. Diese Veränderungen sind in Erinnerungen, Geschichten und materiellen Zeugnissen – Fotos, Briefen, Gebäuden und Gegenständen – dokumentiert. Archiviert sind sie aber auch in der gegenwärtigen Beschaffenheit des Bodens und jener Ökologien, die ausgelöscht wurden, fortbestehen oder neu entstanden sind. Die Teilnehmer:innen des Masterprogramms COOP Design Research der Stiftung Bauhaus Dessau/Hochschule Anhalt führen durch die sich verändernden Landschaften von Wolfen, um gemeinsam mit dem Festival-Publikum herausfinden, welche Geschichten sie erzählen.

Sprache: Deutsch und Englisch

Sa, 15. Juni 2024, 18 – 19 Uhr

Compulsive Desires. On Lithium extraction and rebellious mountains

Marina Otero Verzier
// Lecture
Rathaus Bitterfeld-Wolfen, Hörsaal

Lithium hält Maschinen am Laufen, arbeitende Körper produktiv und den kapitalistischen Traum von endlosem Wachstum am Leben. Die Architektin Marina Otero Verzier untersucht in ihrem Vortrag die sozialen, mentalen und ökologischen Folgen des Lithium-Abbaus am Beispiel einer Gemeinde im Norden Portugals.

Lithium spielt sowohl eine Rolle als Rohstoff für die so genannte grüne Energiewende als auch als Stimmungsstabilisator. Es wird in den Batterien von Telefonen, Computern und Elektrofahrzeugen ebenso verwendet wie bei der Behandlung von Erschöpfung, Manie und Depression.

Der Abbau von Lithium reißt Wunden in die Landschaft. Zum Beispiel in Covas do Barroso im Norden Portugals. Dagegen wehren die Bewohner:innen von Covas sich. Sie wissen, dass Lithium-Minen langfristige Auswirkungen auf die Qualität von Luft, Wasser und Boden haben. Ihr Widerstand folgt dem in Argentinien, Bolivien, Chile, in der Tschechischen Republik, in der Demokratischen Republik Kongo, in Spanien und anderen Regionen. Ihr Widerstand verwandelt die Gewalt in eine Kraft des Überlebens und der Sehnsucht nach Leben und gebietet so den zwanghaften Begierden des Kapitalismus vorübergehend Einhalt.

Von und mit: Marina Otero Verzier
Sprache: Englisch
Dauer: 60 min

Der Beitrag von Lili Carr wird gefördert durch den Creative Industries Funds NL

Lili Carr, geboren im Vereinigten Königreich, ist Architektin und Landschaftsarchitektin. In ihrer Arbeit untersucht sie die nicht geplanten und unkontrollierten ökologischen Auswirkungen der industrialisierten Umwelt und fragt, wie Praktiken des Wissens und Erzählens, die aus dem Boden einer Region entspringt, einen Impuls für Infrastrukturen an anderen Orten liefern können. Zuvor nahm sie am Bauhaus Lab (2021) „Vegetation unter Strom“ teil, einem Projekt, das die materiellen Veränderungen der Region anhand der Sammlung des Kreismuseums Bitterfeld nachzeichnete.

Laya Chirravuru ist Designforscherin und Modedesignerin. Ihr Interesse gilt der Herausbildung von Social-Design-Strategien, um die Modeindustrie durch Forschung zu Nachhaltigkeit weiter zu entwickeln. Sie beschäftigt sich mit Nuancen kultureller Nachhaltigkeit in Ökosystemen des Textilhandwerks sowie mit dem Potenzial digitaler Mittel für den Erhalt von Kultur. Das textile Handwerk betrachtet sie dabei als Mittel für eine kritische soziale Praxis. Laya ist Community Engagement Lead bei Roots Studio (NY) – einem Unternehmen, das kulturübergreifende Modepartnerschaften initiiert. Sie ist Absolventin des Masterprogramms COOP Design Research der Stiftung Bauhaus Dessau/Hochschule Anhalt und lebt in Leipzig, Deutschland.

Maria Valentina Dinca ist Studentin für Textilkunst und -design. In ihrer Praxis interessiert sie sich für das Verweben von Geschichte und Geschichten sowie für Themen der Nachhaltigkeit und Ansätze des Wiederverwendens und der Wiederverwertung in der Textilindustrie. Derzeit absolviert sie ein Erasmus-Austauschprogramm an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Sie lebt in Bukarest.

Ines Glowania ist eine freischaffende Designerin aus Köln mit einem Master in Information Design von der Design Academy Eindhoven (2019). In ihren interdisziplinären Projekten kombiniert sie Journalismus mit Design und befasst sich mit den kulturellen, politischen, ökologischen und ökonomischen Systemen, in denen wir leben. Sie schreibt Artikel für das DAMN Magazine, hat im Van Abbemuseum Eindhoven ausgestellt und war Teil des Bauhaus Labs 2020.

www.inesglowania.com

Rebekka Hehn arbeitet als Designerin im Bereich Organisationsentwicklung und Grafikdesign und lebt in Köln. 2019 schloss sie den Master im Studiengang COOP Design Research der Stiftung Bauhaus Dessau/Hochschule Anhalt ab und studierte zuvor Integrated Design an der Köln International School of Design. In ihrer künstlerisch-gestalterischen Praxis befasst​ sie sich mit der Erforschung von Materialien.

http://rebekkahehn.de

Elena Maldonado Suarez ist Industriedesignerin, Produktentwicklerin und Designforscherin. Der Fokus ihrer Designpraxis liegt in der Erforschung neuer Lebensweisen. Auf der Basis von Beobachtung und Neugier gilt ihr Interesse der Verbindung von transformativen Narrativen mit den Herausforderungen der Gegenwart. Derzeit arbeitet Elena bei PCH INNOVATIONS, einem kreativen Ingenieurstudio, das aus Ingenieur:innen, Designer:innen, Codierer:innen, Philosoph:innen, Forscher:innen, Geschichtenerzähler:innen und Robotern besteht.

https://elenamaldonado.cargo.site/

Medium Research Publications https://medium.com/@PCH-Innovations/exploring-new-paradigms-of-living-materials-a1b2f182a044 

Marina Otero Verzier ist Architektin und Wissenschaftlerin. Im Jahr 2022 erhielt sie den Wheelwright-Preis von Harvard für ein Projekt über die Zukunft der Datenspeicherung. Otero hat verschiedene Ausstellungen kuratiert, darunter „Compulsive Desires: On Lithium Extraction and Rebellious Mountains“ in der Galería Municipal do Porto (2023), „Work, Body, Leisure“ und den niederländischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig (2018). Zusammen mit Juan Herreros und Andrés Jaque ist Otero Mitglied des neu gegründeten Architekturbeirats des Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía (MNCARS) in Madrid.

Konzept
Regina Bittner, Vera Lauf

Mitarbeit
Hannah Margarethe Schönicke

Key Visual
Lili Carr, Yvonne Tenschert

Dokumentation
Yvonne Tenschert

Technik
Marcus Wozny

Kommunikation
Alexandra Huth, Domenik Pasemann, Yvonne Tenschert, Wiebke Wehling

Kooperationspartner*innen: